- Physiknobelpreis 1979: Sheldon Lee Glashow — Abdus Salam — Steven Weinberg
-
Die Amerikaner Glashow und Weinberg und der Pakistani Salam wurden für ihren Beitrag zur Theorie der Vereinigung schwacher und elektromagnetischer Wechselwirkung zwischen Elementarteilchen, einschließlich der Voraussage der schwachen nuklearen Ströme ausgezeichnet.BiografienSheldon Lee Glashow, * New York 5. 12. 1932; 1959 Promotion an der Havard University, 1960 Niels Bohr-Institut in Kopenhagen, 1961 California Institute of Technology, 1962 Stanford University, 1963-66 University of California in Berkeley, seit 1966 Professor für Physik an der Harvard University.Abdus Salam, * Jhang (Indien) 29. 1. 1926, ✝ Oxford 21. 11. 1996; 1951 Promotion, 1951-54 Leiter des Department of Mathematics an der Universität des Punjab, 1957 Professor der Physik am Imperial College in London, 1964 erster Direktor des im gleichen Jahr von ihm gegründeten International Centre for Theoretical Physics in Triest.Steven Weinberg, * New York 3. 5. 1933; 1957 Promotion an der Princeton University, 1957-73 Arbeiten an der Columbia University, der University of California, der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology, seit 1973 Professor für Physik an der Harvard University und Senior Scientist am Smithsonian Astrophysical Observatory.Würdigung der preisgekrönten LeistungDie Quantenelektrodynamik, die von 1947 bis 1949 von Feynman, Schwinger und Tomonaga (Nobelpreis 1965) entwickelt wurde, war die erste konsistente relativistische Quantenfeldtheorie. Sie beschreibt die elektromagnetische Wechselwirkung zwischen Leptonen und Photonen mit einer großen Präzision, sodass die Vorhersagen der Theorie dem experimentellen Wert immer näher kommen, je mehr Ordnungen der Störungstheorie berücksichtigt werden. Diese Eigenschaft einer Quantenfeldtheorie nennt man Renormierbarkeit.Wechselwirkungen von NucleonenSchon 1954 stellten die Physiker Chen-Ning Yang (Nobelpreis 1957) und Robert Mills eine Verallgemeinerung der Quantenelektrodynamik vor, eine so genannte nicht Abel'sche Eichtheorie. Während die elektromagnetische Wechselwirkung in der Quantenelektrodynamik von einem einzelnen Teilchen, dem Photon, vermittelt wird, beschrieb die Theorie von Yang und Mills eine Wechselwirkung, die von drei Teilchen vermittelt wurde, die den drei Generatoren der nicht Abel'schen Eichgruppe SU(2) entsprechen. Yang und Mills versuchten jedoch erfolglos, ihre Theorie zu benutzen, um die starke Wechselwirkung zwischen Nucleonen zu erklären.1961 gelang es Glashow, eine einheitliche Theorie der schwachen und elektromagnetischen Wechselwirkungen aufzustellen. In dieser Theorie war die Eichgruppe erweitert worden, was zur Vorhersage einer neuen Art der schwachen Wechselwirkung führte, die paritäts- und strangenessverletzend war. Die detaillierte Struktur dieses neutralen Stroms und die Stärke, der von ihm hervorgerufenen Effekte, konnte Glashow allerdings nicht angeben. Er wusste damals auch nicht, wie die Träger der schwachen Wechselwirkung, die heute die W- und Z-Vektorbosonen genannt werden, ihre Massen erhalten; jedoch erwähnte er in dieser Arbeit, dass die Theorie wegen der ihr zugrunde liegenden Eichsymmetrie renormierbar sein könnte. Eine ähnliche Theorie wurde 1964 wieder von Salam und Ward vorgeschlagen.Massen und ReichweiteHeute wissen wir, dass das Problem der Massen ein wesentliches Hindernis für die Konsistenz dieser Theorien darstellte. Die Träger der schwachen Wechselwirkung müssen eine große Masse besitzen, um die Kurzreichweitigkeit dieser Wechselwirkungen zu gewährleisten. Aber wenn man nach den damals bekannten Methoden für diese Teilchen eine Masse einführte, wurde die Eichsymmetrie der Theorie verletzt, und als Folge wäre die Theorie nicht mehr renormierbar.Die Lösung dieses Problems kam aus einer ganz anderen Richtung. Für die Erklärung des Ferromagnetismus in Festkörpern hatte Werner Heisenberg (Nobelpreis 1932) die Idee der spontanen Symmetriebrechung eingeführt, um die Ausrichtung des Spins der Eisenatome in einem Ferromagnet zu erklären. Jeffrey Goldstone erkannte, dass diese Idee auch in der Teilchentheorie fruchtbar werden könnte. In einer gemeinsamen Arbeit konnten Goldstone, Salam und Weinberg zeigen, dass es — wird eine globale Symmetrie spontan gebrochen — ein masseloses Spin-Null-Teilchen geben muss, das so genannte Goldstone-Boson. Dies war zunächst ein Problem, da solche Teilchen nie beobachtet worden sind. Doch Higgs, Kibble, Brout, Englert und andere konnten zeigen, dass im Fall einer lokalen Symmetrie — wie der Eichsymmetrie — die spontane Symmetriebrechung andere Konsequenzen hat. Sie führt dazu, dass die zuvor masselosen Eichbosonen eine Masse erhalten!1967 erkannte Weinberg — und kurz darauf auch Salam —, dass die Anwendung der spontanen Symmetriebrechung auf Glashows Modell der schwachen Wechselwirkungen den Vektorbosonen eine Masse verleihen konnte, möglicherweise sogar ohne die Renormierbarkeit der Theorie zu verletzen. Da man jetzt ein konkretes Model für die Art der Symmetriebrechung hatte, konnte man auch präzise Vorhersagen zu Form und Stärke der schwachen neutralen Ströme machen sowie zu den Massen der W- und Z-Vektorbosonen.Standardmodell der ElementarteilchenWeinberg und Salam beschränkten sich zunächst auf die schwachen Wechselwirkungen von Leptonen — also Elektronen, Myonen und Neutrinos. Wenn man versuchte, die Wechselwirkung mit Quarks zu berücksichtigen — was notwendig wäre, um hadronische Prozesse zu verstehen —, schien es zunächst unvermeidbar, dass die neutralen Ströme zu strangenessverändernden Prozessen führen würden, die allerdings experimentell ausgeschlossen sind. 1970 zeigten Glashow, Iliopoulos und Maiani, dass unter der Annahme, dass außer den damals bekannten Up-, Down- und Strange-Quarks noch eine vierte Sorte, welche sie Charm-Quark nannten, existierte. Die Strangenessverändernden neutralen Ströme konnten vermieden werden.Dass die so konstruierte Theorie tatsächlich renormierbar ist, konnte 1971 von 't Hooft und Veltman gezeigt werden (Nobelpreis 1999). Die neutralen Ströme wurden 1973 am CERN entdeckt; nachfolgende Experimente bestätigten mit zunehmender Präzision ihre Übereinstimmung mit den Vorhersagen der Theorie von Glashow, Salam und Weinberg. Schließlich wurden die W- und Z-Vektorbosonen 1983 mit den vorhergesagten Massen entdeckt.In den nachfolgenden Jahren ist die Theorie von Glashow, Salam und Weinberg zum so genannten Standardmodell der Elementarteilchen ausgebaut worden. Die wichtigste zusätzliche Erkenntnis ist, dass auch die starke Wechselwirkung der Hadronen berücksichtigt werden kann, wenn die Eichgruppe erweitert wird (die hierfür gebräuchliche Theorie der starken Wechselwirkung wird als Quantenchromodynamik bezeichnet). Die starke Kraft würde durch acht masselose Gluonen, die ebenfalls Eichbosonen sind, vermittelt.Das Standardmodell der Elementarteilchen wurde in den letzten 20 Jahren in zahllosen Experimenten bestätigt. Viele seiner Komponenten, die 1979 noch nicht gesehen werden konnten, sind inzwischen beobachtet worden, zuletzt das Top-Quark im Jahr 1995.A. Hirshfeld
Universal-Lexikon. 2012.